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Erdbebenhilfe

Augenzeugenberichte von Holger

25.4.2015 - Erdbeben - erster Erdstoß mit der Stärke 7.8

Am Morgen des Tages bin ich mit Dina in einem Biomarkt. Ja, auch dies ist im Entstehen in Kathmandu, auch wenn Besucher und Verkäufer im Moment noch zu gut 50% Nicht-Nepalesen sind. Ich beschließe dann gegen 10:00Uhr nach Thamel zu gehen, um Jyoti im "Trekkers Service Center" einen Besuch abzustatten. Dort überrascht uns das Beben im 4. Stock des Hauses. Wir rennen ins Freie und treffen auf Hunderte, die sich aus den engen Straßenschluchten in Sicherheit bringen. Kleinere Zerstörungen, Risse in Hauswänden und Fahrbahn sind zu sehen. Erst einmal haben wir großes Glück gehabt! In der nächsten halben Stunde gibt es noch kein Nachbeben. Ich versuche über Mobiltelefon alle Freunde zu erreichen, aber die Netze sind hoffnungslos überlastet. Auf meinem Weg ins Hotel "Tibet Guesthouse" sehe ich weitere Zerstörungen. Der Weg durch die Straßenschluchten ist gefährlich und ich schaue ständig nach freien Plätzen, zu denen ich rennen kann, wenn es wieder losgeht.

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1: Die Menschen bringen sich direkt nach dem ersten Beben aus den Straßenschluchten in Sicherheit.
2: Zerstörungen in der Nähe vom Tibet Guesthouse (gegenüber "Anatolia")
3: meine erste Übernachtung im Garten vom "Sunrise Cottage" direkt hinter dem Tibet Guesthouse

Ich verbringe die folgende Nacht und 3 weitere Nächte im Freien aus Angst vor Nachbeben. Diese kommen am Anfang jede halbe Stunde. Insgesamt gibt es in den nächsten 14 Tagen über 150 Beben mit mindestens der Stärke 4. Die Kommunikationsnetze Internet und SMS brechen zusammen. Das Telefon funktioniert noch, ist aber ständig überlastet. Irgendwann kann ich dann meine Tochter und Martin in Deutschland erreichen. Nach und nach gibt es auch Kontakt zu den Freunden. Bisher sind glücklicherweise alle am Leben.


26.4.2015

Ein Nachbeben der Stärke 6,9 richtet in Sindhupalchowk/ Dolakha weitere große Schäden an. In den Tageszeitungen sind Bilder aus Kathmandu und Bhaktapur zu sehen. Große Teile der Altstadt mit ihren Tempelanlagen und Gassen sind zerstört. Man rechnet erste Opferzahlen hoch. Die Nachrichten aus den Bergregionen sind spärlich. Man erzählt von Erdrutschen und großen Zerstörungen.

Da immer noch keine Nachrichten aus Dhulikhel, vom Sahara Children's Home und von Saru vorliegen, beschließe ich hinzufahren. Eine überteuerte Taxifahrt zeigt mir große Schäden im Kathmandutal. Zum Glück ist die Straße befahrbar. In Dhulikhel sind die Zerstörungen glücklicherweise nicht so groß. Die Mädchen und die Hausmutter und das Gebäude des "Mädchenhauses Sahara" sind unversehrt. Welch Glück! Kinder und Betreuerin sitzen im Garten und sind in Sicherheit. Für die kommende Nacht wird eine Plastikplane zur Übernachtung im Freien besorgt, denn es gibt dunkle Wolken am Himmel. Während wir Plane und etwas Essen einkaufen, überrascht uns ein Nachbeben. Zum Glück passiert nichts. Auch gibt es den ersten Telefonkontakt zu Saru. Sie ist bei einer Freundin, denn das Haus, in dem sie wohnt ist ein klein wenig kaputt.

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1: Zum Glück sind alle wohlauf.
2: Die Mädchen studieren interessiert die von Holger mitgebrachten Tageszeitungen aus Kathmandu.
3: mitgebrachte Snacks werden verzehrt
4: Das Haus ist in Ordnung soweit ich beurteilen kann, aber die Umrandungsmauer ist teilweise eingefallen
5: Übernachtungsplatz im Freien und in Sicherheit
6: wieder etwas "Normalität"


27.4.2015

Die Nacht war nicht so toll. Es hat ziemlich heftig geregnet. Und es gab mindestens drei Nachbeben, die aber in Dhulikhel keine Zerstörungen angerichtet haben. Wahrscheinlich liegt Dhulikhel geologisch gesehen etwas sicherer als das Kathmandutal oder andere Regionen. Obwohl die Kinder weitere Tage und Nächte draußen verbringen werden, trauen sie sich ab uns zu wieder ins Haus. Es wird gekocht, Wasser geholt, aufgeräumt und das eine oder andere Spiel gespielt. Es ist ein gutes Zeichen, dass offenbar etwas "Normalität" wieder beginnt. Die Schule wird noch mindestens 14 Tage geschlossen bleiben und die Gefahr von Nachbeben gibt es nach wie vor. Ich fahre nach einem Gespräch mit zwei Herren vom Sahara-Committee mit dem öffentlichen Bus wieder zurück nach Kathmandu. Unterwegs sehe ich die großen Zerstörungen in Bhaktapur. In Kathmandu laufe ich vom Buspark nach Thamel und muss auch sehen, wie viele Gebäude kaputt sind. Viele Menschen haben draußen unter Zeltplanen und in Zelten eine notdürftige Unterkunft errichtet. Fast alle Geschäfte und alle Restaurants sind geschlossen. Ich decke mich mit Wasser, Keksen und Schokolade eine, nehme meinen Schlafsack und einen Biwaksack und übernachte auf einer Wiese in Thamel. Am Abend geht das Internet wieder und ich kann endlich allen Freunden in Deutschland berichten, dass ich wohlauf bin.

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1: zerstörte Schule im Zentrum von Kathmandu
2: vollständig zerstörtes Wohnhaus, Ktm. Chetrapati
3: überall sind Häuser zerstört
4: einfach, jedoch in Sicherheit
5: jede größere Wiese ist ein Campingplatz
6: mein Übernachtungsplatz am SAARC-Gebäude


28.4.2015

Das Land ist wie gelähmt. Nur ganz langsam gibt es wieder Nahverkehr und offene Geschäfte. Die Zeitungen berichten Schlimmes. Allerdings ist uns inzwischen klar, dass sämtliche nahe Freunde und Projektmitarbeiter körperlich unversehrt sind. Aber es wird auch bekannt, wie viel Infrastruktur und Wohnhäuser zerstört sind. Die Nachrichten aus Shreechaur sind diesbezüglich nicht gut.
Ich laufe nach Samakushi, freue mich, ein paar nahe Freunde wieder zu treffen und sie in die Arme zu nehmen. Wir besprechen die notwendigen Schritte, ich gebe etwas "Überbrückungsgeld" und übernachte bei Dinas Familie im Norden von Kathmandu im Zelt.
Inzwischen höre ich begeistert von den angelaufenen Spendenaktionen in Deutschland. Großartig! Auch die Freunde sind Nepal sind beeindruckt! Auf dem Zeltplatz bei Dina hören wir die Flugzeuge und Hubschrauber donnern. Das heißt: die internationale Hilfe läuft an.

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1..3: Kathmandu, Stadtteil Samalushi
4: Transportflüge der Royal Airforce
5: Dinas Mama und Kinder im Zelt
6: irgendwer hat fürchterlich geschnarcht!


29.4.2015 / 30.4.15

Ich treffe zwei Herren der Deutschen Caritas, fahre zur Deutschen Botschaft und übergebe alle Informationen vom Verein und vom PMC in der Hoffnung, das sie eine Hilfslieferung hinbekommen. Wir hören nie wieder etwas von Ihnen, aber in Shreechaur trifft wohl ein LKW mit Hilfsgütern ein und bisher ist nicht ganz klar, weshalb? Vielleicht hat es ja doch etwas genützt! Ansonsten ist das sehr ernüchternd: Die Koordination von Seiten des nepalesischen Staates lässt offenbar zu wünschen übrig. Manche Hilfsteams sitzen mehrere Tage herum und bekommen keinen Einsatzplan. Freiwillige Helfer werden von der deutschen und der nepalesischen Seite abgewiesen. Die Hilfe für die betroffenen ländlichen Gebiete ist offenbar noch nicht einmal angelaufen. Viele Menschen verlassen Kathmandu mit von der Regierung gestellten kostenlosen Bussen, um ihre Heimatdörfer zu besuchen. Zwar gibt es immer noch schwächere Nachbeben, aber langsam machen Geschäfte wieder auf und - zumindest am Tag - normalisiert sich das Leben in Kathmandu weiter. Das Tibet Guesthouse gibt kostenlos etwas Essen an die wenigen Gäste aus. Klasse! Einige Leute (auch ich) übernachten heute wieder drinnen. Das Tibet Guesthouse hat alle Gäste ins Haupthaus ziehen lassen. Ich wohne jetzt im 2. und nicht mehr im 4. Stock. Ich getraue mich auch, einmal zu duschen. Der "Überlebensrucksack" ist fertig gepackt und in ständiger Reichweite. Die kleinen Nachbeben in der Nacht igoniere ich und schlafe lieber weiter ;-) Man weiß ja sowieso nicht, ob es im Haus oder außerhalb sicherer ist ... Außerdem: es wäre eh zu spät zum Losrennen!

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1: lange Schlangen von Bussen an einer Tankstelle
2: endlich wieder ein Obststand
3: Hinterhofszene


1.5.2015

Wir treffen uns in Dinas Büro in Samakushi. Dina hat beschlossen, mit seinem Team aus jungen Männern heute einen der aufgegebenen Campingplätze vom Müll zu beräumen. Das ist extrem wichtig, auch um eventuelle Seuchen zu vermeiden. Ich freue mich über derartige Initiativen, finanziere das Ganze (Atemmasken, Säcke) und mache mit. Leider gibt es es trotzdem Leute, die es nicht begreifen. Das ärgert uns natürlich. Aber die Kinder helfen jedenfalls mit. Trotzdem gibt es viele wie Dina und seine Freunde, die jetzt helfen, wo sie können ... mit ihren Händen oder auch mit Geld, Transportmitteln und Ausrüstungen. Ich höre auch, dass Peshala mit einem Team in Shreechaur gestartet ist, um nicht nur Patienten zu behandlen, sondern auch die Schäden aufzunehmen und Hilfe zu organisieren. Das macht Mut!
Überall in Kathmandu beginnen die Aufräumarbeiten, die internationalen Hilfsteams sind im Einsatz. Stadtbezirke mit fehlender Wasserversorgung werden per Tankauto beliefert. Immer wieder hört man in den Medien, dass sogar noch Überlebende gefunden werden.

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1:  zerstörtes Haus
2: Hilfskräfte
3: Müll"auto"
4: Schule: ein Glück, dass das Erdbeben an einem schulfreien Samstag war
5: outdoor office
6: Übernachtungsplatz
7: Wasserwagen
8: Polizei im Einsatz
9: Dina mit 3 Jungs aus seinem Team
10 ... 12: Müllsammelaktion

Am Abend treffe ich noch die Freunde in einem der wenigen offenen Restaurants in Thamel, dem "Gaia". Wir besprechen die weiteren Schritte und ich übergebe mein gesamtes Bargeld. Ich werde morgen Nepal verlassen. Dina will mit dem Motorrad in die Regionen Dhading und Gorkha fahren (>>>), Medikamente hinbringen, insbesondere in Dörfer, die wahrscheinlich noch nicht von Hilfslieferungen erreicht werden konnten. Ich verspreche ihm weitere finanzielle Unterstützung.

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1:  Abendessen mit den Freunden im Gaia-Restaurant
2: Rina mit "Blume der Hoffnung"

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Sondermenü (zeigt auch den großen Humor der Nepalesen, mit dem schrecklichen Erdbeben umzugehen)


2.5.2015

Mein Abreisetag: Ich verlasse Nepal mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist natürlich das Verlassen der gefährlichen Situation (Nachbeben, Seuchengefahr, Nahrungsengpässe) von Bedeutung. Andererseits komme ich mir aber komisch vor, denn erstens bleiben die Freunde ja in Nepal zurück und zweitens rollen die wichtigen Hilfsaktionen jetzt massiv an. Da würde ich gerne mithelfen, sage mir aber, dass meine Kraft in Deutschland genauso notwendig sein wird, um weitere Spenden zu sammeln. Der Betrieb im Tribuvan International Airport ist wieder ganz normal, obwohl man überall die zusätzliche Abfertigung von Hilfsflügen sieht.

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1: bye bye Tibet Guesthouse
2: Airport
3: Hilfslieferung der Royal Airforce

Ich bewundere den Optimismus der Nepalesen. Da können wir uns eine Scheibe abschneiden. Ich wünsche Allen in Nepal viel Kraft und viel Glück, die Schwierigkeiten zu überwinden. Nepal ist nicht allein!

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Namaste

Holger 10.5.15